Deutschland steht vor einer Rezession. Genauer gesagt die deutsche Wirtschaft. Anders als vor über einem Jahrzehnt zur Welt Finanzkrise 2008/2009 ist es aber nicht ein singuläres Ereignis, sondern gleich ein Sammelsurium an verschiedensten Ursachen. Daher fällt es nicht nur der Politik, sondern auch den Wirtschaftsforschungsinstituten sehr schwer, eine objektive Lage der Situation zu zeichnen und damit eine verlässliche Entscheidungsgrundlage für wirtschaftspolitische Maßnahmen zu schaffen. So sind wir nach über zwei Jahren Pandemie zu Jahresbeginn (gefühlt) den schlimmsten Auswirkungen des Corona-Virus entkommen, nur um wenige Monate später Zeuge des ersten Angriffskrieges auf europäischem Grund und Boden zu werden. Dazu kommen weiterhin zerrissene Lieferketten durch eine teilweise De-Globalisierung, die Auswirkungen einer über Jahre verfehlten Energiepolitik, weitere schwelende internationale Wirtschaftskonflikte, Stichworte: China und USA. Weiter belastet auch ein verschleppter Strukturwandel, der sich in unzureichender Digitalisierung des Mittelstands und einem akuten Fachkräftemangel zeigt. Diese kleine Themenauswahl zum Beginn eines wahlweise heißen oder kalten Herbstes kann uns nicht zufrieden stimmen. Panik wäre, hier wie auch überall, dennoch der falsche Ratgeber.
Was können Unternehmen tun? Darüber haben wir mit Patrik Ludwig Hantzsch, Pressesprecher und Leiter der Wirtschaftsforschung Creditreform gesprochen.
Patrik-Ludwig Hantzsch: Der deutsche Mittelstand befindet sich seit nun mehr fast drei Jahren in einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation. Seit März 2020 wütet das Coronavirus und befällt nicht nur Menschen, sondern auch marktwirtschaftliche Mechanismen und belastet deutsche Unternehmen massiv. Seit Ende Februar 2022 tobt zudem der Krieg in der Ukraine, der die Geschäftserwartungen und -lage im deutschen Mittelstand deutlich einbrechen lässt. Hier sind insbesondere die mittleren Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe betroffen – anders als in der Corona Pandemie, als vor allem Handel- und Dienstleistungssektor unter der Lage litten. Besonders die Aussicht auf längerfristig stark erhöhte Energiepreise, das Risiko von Lücken bei der Gasversorgung sowie neue Engpässe bei wichtigen Rohstoffen aus Russland und der Ukraine haben in der Industrie die Geschäftsaussichten massiv eingetrübt. Hinzu kommen immer neue Lockdowns in China, die die globalen Lieferketten wohl wieder stören werden.
Das manifestiert sich beispielsweise bei kriegsbedingten Lieferschwierigkeiten von speziellen Vorprodukten wie etwa Kabelbäumen in der Automobilindustrie und dem Wegbrechen ganzer Absatzmärkte in Russland und der Ukraine. Unter der kriegerischen Auseinandersetzung leiden vor allem Großunternehmen, die überwiegend exportorientiert und stärker in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden sind. Gesamtwirtschaftlich schlägt auch die nahezu galoppierende Inflation zu Buche, die Materialien und Vorprodukte verteuert und in den kommenden Wochen wenigstens teilweise an die Verbraucher weitergegeben wird. Letztendlich wird der daraus resultierende Kaufkraftverlust auch den privaten Konsum drosseln.
Patrik-Ludwig Hantzsch: Die staatlichen Hilfsmaßnahmen haben bislang die mittlerweile berühmt-berüchtigte Insolvenzwelle verhindert. Fakt ist, dass viele Unternehmen durch die letzten zweieinhalb Jahre geschwächt wurden. Für viele Kleinstunternehmen und Freiberufler waren die Rahmenbedingungen in der Coronakrise denkbar schlecht. Ihnen sind zum Teil ihre Geschäftsmodelle weggebrochen und die staatlichen Hilfen konnten kein Ersatz für nicht erwirtschaftete Umsätze sein. Diese, teils deutlich angeschlagenen Unternehmen, treffen jetzt auf ein hochvolatiles Umfeld mit hoher Inflation, explodierenden Energiepreisen, steigenden Zinsen, fehlenden Mitarbeitern und zerrissen Lieferketten. Daher wird es demnächst vermehrt zu Marktaustritten kommen. Eine Insolvenzwelle mit tausenden zahlungsunfähigen Unternehmen ist aber nach wie vor nicht in Sicht.
Vielmehr findet gerade der Beginn einer Normalisierung des Insolvenzgeschehens statt, die volkswirtschaftlich gesehen richtig und wichtig ist, denn Unternehmen mit unrentablen Geschäftsmodellen müssen auch den Weg der Insolvenz beschreiten dürfen, ohne dass der Staat zwangsläufig eingreift. Eine auf marktwirtschaftlichen Prinzipien aufgebaute Volkswirtschaft verträgt es nicht, wenn alle Unternehmen auf Teufel komm raus am Leben erhalten werden. Nach den historischen Tiefstständen zeichnet sich in Deutschland mittlerweile eine echte Trendwende beim Insolvenzgeschehen ab. Bei der Einschätzung der kommenden Monate ist der Blick nach Österreich und in die Schweiz hilfreich, wo es derzeit deutliche Zunahmen bei den Unternehmensinsolvenzen gibt.
Andreas Draxler, Vorstandsmitglied der A.B.S. Factoring in Österreich bestätigt:
Patrik-Ludwig Hantzsch: Zu dieser Einschätzung trägt bei, dass das Zahlungsausfallrisiko bei Unternehmen derzeit fast wöchentlich steigt, was hauptsächlich an der sich zuspitzenden Energiekrise liegt. Das lässt sich unter anderem am Zahlungsverhalten ablesen. Anhand unseres Debitorenregisters Deutschland können wir deutlich sehen, dass sich die Zahlungsmoral kontinuierlich verschlechtert. Dabei ist es egal ob Kleinunternehmen, Mittelständler oder Großkonzernen. Unternehmen aller Größenklassen lassen ihre Gläubiger zuletzt länger und über das gesetzte Zahlungsziel hinaus auf den Geldeingang warten.
Auch die Branche spielt keine Rolle. Zwar ist die Baubranche besonders betroffen, aber auch die Branchen Chemie und Kunststoffe, der Einzelhandel und die Metall – und Elektroindustrie legen derzeit eine schlechtere Zahlungsmoral an den Tag als noch vor einigen Monaten. Und der Trend dürfte steigen. Denn viele Mehrkosten haben die Unternehmen und Verbraucher noch gar nicht erreicht. Noch lange sind nicht alle Nebenkostenabrechnungen verschickt. Viele Unternehmen werden Probleme haben, neue Energieverträge abzuschließen. Dabei trifft es natürlich gerade die energieintensiven Unternehmen, wie Bäckereien, Papierhersteller, die Transport- und Logistikbranche und natürlich viele Betriebe in der Industrie, beispielsweise die Glas- und Keramikbranche. Aber selbst die deutschen Maschinenbauer, die als Schlüsselwirtschaft wenig Furcht vor hohen Energiepreisen hatten, müssen jetzt deutlich schärfer kalkulieren und sind besorgt.
Es gibt Mittel und Wege, das Liquidtätsrisiko durch nicht zahlende Kunden zu senken. Durch eine proaktive Arbeitsweise kann man sowohl die Kundenbeziehung als auch das Zahlungsverhalten von spät zahlenden Kunden beeinflussen. Ein professionelles Rechnungsmanagement kann hier Gold wert sein. Eine weitere Möglichkeit, Verluste durch Forderungsausfall einzudämmen, ist die Beauftragung eines Inkassounternehmens. Sie sind zwar, anders als beim Factoring, nicht vor Forderungsausfall geschützt, aber haben im Worst-Case-Szenario durch Spezialisten und den sogenannten „third effect of parties“ deutlich höhere Erfolgsquoten als Sie selbst. Das gesamte Mahnwesen bis hin zur gerichtlichen Beitreibung erfolgt effizienter und kann im Ernstfall bereits verloren geglaubtes Kapital sichern.
Patrik-Ludwig Hantzsch: Meiner Erfahrung nach werden die Banken bei der Kreditvergabe derzeit deutlich restriktiver. Das liegt zum einen an der unsicheren Lage und zum anderen daran, dass Kostenkalkulationen derzeit kaum möglich sind. Sowohl Banken als auch Betrieben fehlt es an Planungssicherheit. Dadurch müssen Finanzinstitute mit höheren Ausfällen rechnen. Auf der anderen Seite beobachten wir aber auch, dass die Nachfrage nach Krediten deutlich zurückgegangen ist. Der Bedarf nach alternativen Finanzierungskonzepten wie Factoring oder Leasing steigt hingegen weiterhin.
Patrik-Ludwig Hantzsch: Wir sehen, dass Länder und Staaten die derzeitige Lage nutzen, um massiv Werbung für den eigenen Wirtschaftsstandort zu machen. In Amerika werden gezielt deutsche Mittelständler mit günstigen Rahmenbedingungen geködert, wie beispielsweise ultraniedrigen Strom- und Gaspreisen. Aber Deutschland verliert nicht nur wegen der gerade horrenden Energiepreise an Attraktivität als Industrie-und Produktionsstandort. Die bürokratischen Prozesse, lange Genehmigungsverfahren, hohe Auflagen und die steuerlichen Belastungen sind ein Klotz am Bein. Das können andere Länder besser. Voller Sorge sehen wir auch, dass manch ein Unternehmen seine Produktion bereits verlagert hat oder laut darüber nachdenkt.
Patrik-Ludwig Hantzsch: Das muss nicht sein. Bei Creditreform sagen wir, „es ist die Stunde des Unternehmers“. Jede Krise bietet auch Chancen. Das haben wir bereits in der Vergangenheit gesehen und das werden wir auch in Zukunft erleben. Manche Erfolgsmodelle sind quasi über Nacht ausgestorben. Denken wir nur an die zahlreichen Kutschenbauer. Dafür ist das Automobil erfunden worden und kaum einer will wohl heutzutage noch ausschließlich in der Kutsche reisen.Neben allem Negativen erleben wir auch eine sehr spannende Zeit der Entwicklung, des Fortschritts und der Digitalisierung. Hier bieten sich für Unternehmenslenker unzählige Chancen, das Geschäftsmodell weiterzuentwickeln oder eben auf ein neues Pferd zu setzen. Auch wenn wir schwierige Jahre vor uns haben, bin ich zuversichtlich, dass wir unser Land und unsere Wirtschaft gestärkt aus der aktuellen Krise bringen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Unternehmerinnen und Unternehmer sollten auch in der Krise die Haltung haben, geschaffene Unternehmenswerte – und da gehören der Kundenstamm und die daraus resultierenden Forderungen dazu – optimal für die Finanzierung des Unternehmens einzusetzen. Wir kennen Lösungen, die die Betriebsfortführung sichern und Substanz erhalten, damit der Weg aus der Krise gelingt.
Patrik-Ludwig Hantzsch ist Leiter der Wirtschaftsforschung und Pressesprecher beim Verband der Vereine Creditreform in Neuss. Nach dem Studium an der Philipps Universität Marburg war er zunächst in der Agrar- und Handelsbranche tätig. Seit 2019 arbeitet er beim Verband der Vereine Creditreform. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Wirtschaftsforschung bei Untersuchungen zur Konjunkturentwicklung, insbesondere dem Insolvenzgeschehen, den Neugründungen in Deutschland und Europa sowie zu Fragen der Finanzierung und Entwicklung mittelständischer Unternehmen.